Bei der Entwicklung, dem Ausbau oder der Sanierung von Industrie-, Wohn- oder Mischgebieten, ebenso wie bei Lückenbebauungen, ist die Entdeckung von Kampfmitteln keine Seltenheit. Der folgende Beitrag, der ursprünglich 2012 in dieser Zeitschrift erschien und nun aktualisiert wurde, beleuchtet, was bei der Kampfmitteluntersuchung und Kampfmittelräumung zu beachten ist.
Auch viele Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs sind Kampfmittelfunde ein ernstzunehmendes Thema. Es wird geschätzt, dass etwa 10-15 % der während des Krieges abgeworfenen Bomben nicht detonierte und bis heute eine potenzielle Gefahr darstellen. Vor allem in städtischen Gebieten stößt man auf:
Deswegen führt die Kampfmitteluntersuchung häufig zu Unterbrechungen von Bauvorhaben, manchmal sogar zu Explosionen von Kampfmitteln. Daraus ergeben sich wichtige Fragen:
Bei Bauarbeiten mit Kampfmittelverdacht entstehen Risiken, die als Teil der vertraglichen Pflichten des Bauherrn, gemäß VOB/C ATV DIN 18299, zu behandeln sind. Oft wird aus Kostengründen keine eigentliche Kampfmittelräumung durchgeführt, sondern versucht, das Problem mit einer sogenannten Bauaushubüberwachung zu lösen. Dies geschieht vor allem, wenn ein allgemeiner Kampfmittelverdacht besteht, ohne konkrete, lokalisierbare Anhaltspunkte, aber dennoch genug Verdachtsmomente für eine potenzielle Gefahr vorhanden sind (auch bekannt als „Fläche mit Kampfmittelverdacht ohne konkrete Gefahr“).
Pflichten des Bauherrn bei der Kampfmitteluntersuchung
Die Bereitstellung des Baugrunds für Bauvorhaben wird nach § 645 BGB als Lieferung eines Baumaterials angesehen. Dabei trägt der Bauherr die Verantwortung für den Zustand des "Baugrunds" und somit das Baugrundrisiko.
Bei Grundstücken, die nach historischer Untersuchung als kampfmittelgefährdet eingestuft werden, ist es die Pflicht des Bauherrn, im Rahmen der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht für die Sicherheit zu sorgen. Dies beinhaltet insbesondere die Durchführung einer Kampfmitteluntersuchung und gegebenenfalls einer Kampfmittelräumung, um mögliche Gefahren durch Kampfmittel auszuschließen.
Diese Verpflichtung gilt unabhängig davon, ob ein spezifischer oder ein allgemeiner Kampfmittelverdacht besteht. In manchen Regionen, wie beispielsweise Nordrhein-Westfalen, können Ordnungsbehörden spezielle Maßnahmen im Rahmen der Kampfmitteluntersuchung vorschreiben. Zusätzlich sind Bauherren angehalten, die Baustellenverordnung (BaustellV) in Verbindung mit § 4 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) und § 319 StGB „Baugefährdung“ zu beachten. Weiterführende Informationen zu den Pflichten des Bauherrn bei der Kampfmitteluntersuchung auf Verdachtsflächen bietet die DGUV Information 201-027.
Baustellenverordnung im Kontext der Kampfmitteluntersuchung
§ 2 der Baustellenverordnung (BaustellV) „Planung und Ausführung des Bauvorhabens“ stellt eine zentrale und klare Anforderung dar, die auf jeder Baustelle beachtet werden muss. Ein Kernpunkt von § 2 Absatz 1, kurz gefasst, ist: Bei der Planung der Ausführung eines Bauvorhabens müssen die allgemeinen Grundsätze nach § 4 des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) berücksichtigt werden.
Dies bedeutet, dass der Bauherr bereits in der Planungsphase eines Bauvorhabens gemäß den ersten drei wesentlichen Grundsätzen des § 4 ArbSchG sicherstellen muss, dass:
In diesem Kontext spielt die Kampfmitteluntersuchung eine entscheidende Rolle, um sicherzustellen, dass alle potenziellen Gefahren, die vom Baugrund ausgehen können, identifiziert und angemessen behandelt werden. Der Bauherr ist verpflichtet, diese Untersuchungen im Rahmen der Gesetze und Vorschriften zur Sicherheit und Gesundheit der Arbeitskräfte durchzuführen.
Anwendung der Baustellenverordnung und § 4 ArbSchG im Kontext von Kampfmitteluntersuchungen
Die Baustellenverordnung (BaustellV) und der § 4 des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) definieren wesentliche Pflichten für Bauherren und beauftragte Dritte bei der Planung und Durchführung von Bauprojekten:
Zentrale Pflichten auf allen Baustellen gemäß § 2 Abs. 1 BaustellV:
Zusätzliche Pflichten auf Baustellen mit Beschäftigten mehrerer Arbeitgeber gemäß § 3 BaustellV:
Bei Nichtbeachtung dieser Vorgaben, insbesondere im Falle einer Explosion eines Kampfmittels, könnte § 319 StGB „Baugefährdung“ relevant werden:
Die DGUV Information 201-027 unterstützt sowohl das Kampfmittelräumunternehmen als auch den Bauherrn oder dessen Planer dabei, die allgemeinen Grundsätze des § 4 ArbSchG bei der Planung und Ausführung von Bauvorhaben auf kampfmittelverdächtigem Untergrund zu berücksichtigen und umzusetzen. Diese Vorgaben sind essentiell für eine ordnungsgemäße Kampfmitteluntersuchung und -räumung, um Sicherheitsrisiken zu minimieren.
Vorgehensweisen und Kritik bei der Kampfmittelräumung im Kontext des Standes der Technik
In der Baupraxis ist es üblich, dass bei Ausschreibungen der Stand der Technik von den ausführenden Unternehmen gefordert wird. Jedoch sind klassische Methoden der Kampfmittelräumung manchmal aufgrund zahlreicher Störkörper im Untergrund nicht anwendbar. Zudem scheuen einige Bauherren aus finanziellen Gründen vor Sondierungen zurück, was dazu führt, dass schon bei der Planung auf kampfmittelverdächtigem Untergrund auf die sogenannte Bauaushubüberwachung zurückgegriffen wird. Dabei wird eine zur Kampfmittelräumung befähigte Person, hier als Feuerwerker bezeichnet, neben den Bagger gestellt, um bei Auffinden eines „auffälligen“ Gegenstands die Arbeiten sofort zu stoppen.
Diese Methode, oft als „fachtechnische Begleitung“ bezeichnet, stößt in Fachkreisen auf starke Kritik, sowohl wegen der Ausschreibungspraxis der Bauherren als auch wegen der Beteiligung einiger Kampfmittelräumfirmen. Trotz wirtschaftlicher Zwänge wird diese Vorgehensweise als schwerwiegender Verstoß gegen die Grundsätze des § 4 ArbSchG und gegen Sicherheitsplanungsprinzipien gesehen, da:
Eine verbindliche Definition oder Vorschrift für die Bauaushubüberwachung zum Auffinden von Kampfmitteln existiert nicht. Oft wird der Begriff „baubegleitende Kampfmittelräumung“ für ähnliche Vorgehensweisen verwendet oder missbraucht. Im Gegensatz zur Bauaushubüberwachung sind die Methoden der baubegleitenden Kampfmittelräumung jedoch genau in den „Arbeitshilfen Kampfmittelräumung – AH-Kampfmittelräumung des Bundes“ (heute Baufachliche Richtlinien Kampfmittelräumung BFR KMR) definiert.
Baubegleitende Kampfmittelräumung: Verfahren und Kritik
Die baubegleitende Kampfmittelräumung ist ein Räumverfahren, bei dem sowohl horizontale als auch vertikale Flächen der Baugrube mittels aktiver und/oder passiver Sonden systematisch auf Kampfmittel untersucht werden. Erst nach einer Freigabe durch die verantwortliche Person gemäß § 19 Abs. (1) Nr. 3 SprengG kann der Boden unter visueller Kontrolle schichtweise abgetragen werden. Dieser Prozess wird bis zur Erreichung der Aushubsohle wiederholt.
Verfahrensbeschreibung: Um das Ziel der „Kampfmittelfreiheit“ zu erreichen, müssen Aushubsohle und Grubenböschungen oder -wände flächendeckend und systematisch mittels Sonden untersucht und gegebenenfalls geräumt werden. Dabei sind die besonderen Sicherheitsanforderungen gemäß BGR 114 Anhang 5 zu beachten.
Verfahrensgrenzen: Das Verfahren dient der Reduktion von Gefährdungen auf kampfmittelbelasteten Flächen. Es ist anwendbar, wenn einzelne Kampfmittel aufgrund konkreter Verdachtsmomente nicht ausgeschlossen werden können. Die Verfahrensgrenzen werden durch die Empfindlichkeit der Sonden und mögliche Einschränkungen durch vorhandene bauliche Anlagen oder Hilfsbaumaßnahmen definiert.
Trotz seiner Anwendbarkeit ist das Verfahren in Fachkreisen umstritten. Es birgt Unsicherheiten für den Räumerfolg und potenzielle Gefahren für die Ausführenden. Kritisiert wird vor allem, dass das Verfahren missbraucht werden kann, um Kosten zu sparen. Dies geschieht oft durch die Annahme, dass klassische Sondierungen nicht durchführbar sind, wodurch in Ausschreibungen der schichtweise Abtrag oft weggelassen wird. Der Einsatz eines Ausguck-Feuerwerkers am Bagger scheint dann eine schnelle Lösung zu sein, birgt jedoch Risiken.
Die Bedenken richten sich insbesondere auf die Verantwortlichkeiten, falls ein Kampfmittel übersehen wird und beispielsweise mit dem Aushub durch die Stadt transportiert wird. Hier zeigen sich die Grenzen und Herausforderungen der baubegleitenden Kampfmittelräumung, die ein hohes Maß an Sorgfalt und Verantwortungsbewusstsein erfordern.